Gundel Jacobi


In Anzug und Krawatte auf dem Moped

Eines der ältesten privaten Auto- und Spielzeugmuseen steht in Tübingen am Rande der Altstadt: Der Boxenstop ist Kult.
Von Gundel Jacobi

Rund um den Globus existiert eine Gattung, die nicht dem Jugendlichkeitswahn unterliegt – ganz im Gegenteil: Je älter, desto besser! In der Gunst von Jung und Alt liegen Oldtimer weit vorn und heimsen bei zunehmenden Retro-Messen, Klassiker-Rallyes und Auto-Museen viel Sympathie ein. Nicht wenige Bewunderer dieses rollenden Kulturguts legen sich eines Tages selbst ein Exemplar zu, oder wie der Tübinger Boxenstop-Museums-Chef Rainer Klink schmunzelnd meint: „Wurde das erste Schätzchen zuhause untergebracht, ist das zweite und dritte auch nicht mehr fern.“

Bei ihm stehen mittlerweile über achtzig Autos und Zweiräder auf vier Etagen. Bereits 1985 hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und die privaten Pforten am Rande der Tübinger Altstadt für die Besucher geöffnet. Von Anfang an hatten Rainer und Ute Klink weit mehr als nur die rollenden Zwei- und Vierräder im Blick: Mit viel Fingerspitzengefühl vermitteln die beiden das Lebensgefühl jener vergangenen Zeiten – rund 2000 Spielsachen und Accessoires unterstützen sie dabei. Clever ist es allemal, denn wie der umtriebige Schwabe ausführt, „locken unsere vielfältigen Ausstellungsstücke nicht nur klischeehaft motorbegeisterte Männer, sondern auch Frauen und Kinder, einfach Jung und Alt“.

Man spürt beim Betreten der Räume, dass es sich nicht um ein schlichtes Sammelsurium handelt. Natürlich spielen die Themen Eisenbahn, Schiff- und Luftfahrt sowie Individualverkehrsmittel die Hauptrolle. Aber mindestens so phantasievoll zieht die im Stil der 60er Jahre gekleidete Schaufensterpuppe neben einer himmelblauen Autobianchi Bianchina oder der Maserati-Rennanzug samt Helm die Aufmerksamkeit auf sich. Schwarz-weiss-Fotos, Lampen, Uhren, Champagnerflaschen, Poster: Alles ist perfekt und doch überraschend aufeinander abgestimmt.

Besonders eindrücklich und unerwartet lädt ein Raum für Puppenstuben und Kaufladen zum Entdecken ein. Sofort umgibt einen das Gefühl von Weihnachten, wenn in der Kindheit das Glöckchen bimmelte und man das Wohnzimmer betrat – neugierig, welche Verfeinerungen alle Jahre wieder in der Puppenstube zu finden waren.

Beim Hochsteigen der Treppen in die oberen Stockwerke ist das Knarzen der Treppen zu hören: reines Kopfkino! Denn die rundum passende Atmosphäre löst solche heimeligen Vorstellungen aus. Das schafft kein Glaspalast-Museum in modernster Kunststoff-Optik. Apropos Kunststoff: In allen Räumen liegen tatsächlich Holzdielen – nur in der Bibliothek ist rot-goldener Teppichboden verlegt. Unverzüglich entsteht der Wunsch, auf den hellroten Sesselchen Platz zu nehmen, in den Kamin zu schauen und an alte Zeiten zu denken. „Jeder kann eine eigen erlebte oder gehörte Geschichte mit dem Gesehenen verbinden. Das sorgt für Nähe statt für nur staunende Distanz.“

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass man vor der NSU Sportmax mit einem Besucher ins Gespräch kommt, der sich an selige Moped-Zeiten erinnert, als er im Anzug und Krawatte mit seinem Zweirad durchs Ländle fuhr: „Es war saukalt, aber die einzige Möglichkeit, zur Party zu kommen. Natürlich mit einem Mädel auf der Sitzbank.“

Lustige Geschichten und fröhliche Erinnerungen stecken in Klink und nehmen wie in einem Kaleidoskop unzählige Formen an. Selbstverständlich gehört vieles nicht mehr in die Gegenwart – wäre womöglich undenkbar, wie beispielsweise die Nacht-Rallye auf der Schwarzwaldhochstraße Ende der 90er Jahre, „als nach durchfahrener Nacht die Augen der Piloten rot wie ihre Rücklichter leuchteten“.

Oldtimer-Liebhaber Klink ist um die Zukunft seiner enormen Sammlung nicht bang, „denn die Menschen treibt hierher die Sehnsucht nach Entschleunigung, die Alternative zur Digitalisierung – kurz gesagt: diese eine Seite der guten alten Zeiten“.

Tritt man wieder vor die Tür, sind es die kleinen Glücksgefühle, die einen automatisch die Schritte in Richtung Tübinger Altstadt zu einem Bummel durch alte Gassen leiten lassen.

Informationen: Boxenstop-Museum – Auto, Zweirad, Spielzeug. Brunnenstraße 18, 72074 Tübingen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr. Samstag, Sonntag, Feiertags 10 bis 17 Uhr. Kosten: Kinder 6-9 Jahre: 4 €, Kinder 10-14 Jahre sowie Schüler und Studenten: 6 €, Erwachsene: 7 €, Familienkarte: 20 €. Internet: www.boxenstop-tuebingen.de.